Vegan: Wo ist die Toleranz geblieben?

Viele Menschen stellen ihre Ernährung oder ihre ganze Lebensweise aus gesundheitlichen oder ethischen Gründen auf vegan um. Man möchte gesünder und fitter werden oder ein paar Kilos verlieren. Man möchte das Tierleid mindern, der Umwelt gutes tun und allgemein bewusster und friedvoller leben. Eigentlich alles Themen, die einem glauben machen, dass es in dieser Szene ums Füreinander und Miteinander geht.

Veganismus hat viel mit Empathie und friedvollem Zusammenleben zu tun, also sollten wir uns auch Nichtveganern gegenüber entsprechend verhalten.

Veganismus hat viel mit Empathie und friedvollem Zusammenleben zu tun, also sollten wir uns auch Nichtveganern gegenüber entsprechend verhalten.

Doch gerade in der veganen Szene stelle ich in letzter Zeit eine immer stärkere Intoleranz fest. In Foren und Gruppen werden ausartende Diskussionen geführt, der Ton ist zum Teil geradezu bissig – was an Raubtiere erinnert – und es werden Beleidigungen ausgeteilt, die jenseits von jeder Benimmregel sind.

Für Neueinsteiger schwierig

Gerade als NeueinsteigerIn bewegt man sich in einer Szene, in der man noch niemanden kennt, eher unsicher ist und möchte vor allem zwei Dinge: nett aufgenommen werden und Antworten auf seine vielen Fragen bekommen. Doch wenn Anfänger zum Beispiel in Facebook-Gruppen fragen, wieso denn Veganer auch Honigprodukte meiden, die Bienen würden doch nicht gequält und dann Antworten bekommen wie: «Bist du blöd? Sag mal, spinnst du?», dann müssen wir uns nicht wundern, wenn diese Menschen gleich wieder kehrt machen und in der Bevölkerung der Anteil an Veganessern bei rund einem Prozent (aktuelle Zahl für die Schweiz) stagniert.

Ebenso finde ich diese Alles-oder-nichts-Haltung vieler Veganer schrecklich. Akzeptiert wird nur, wer seine Ernährung auf 100 Prozent vegan umstellt und soweit möglich auch seine ganze Lebensweise. Das geht so weit, dass in – meines Erachtens – extremistischen Gruppen sogar das Halten von Haustieren verpöhnt ist. Und wenn es toleriert wird, dann nur, wenn es sich um gerettete Tiere handelt und nur, wenn die fleischfressenden Tiere wie Hunde und Katzen vegan gefüttert werden. Natürlich sind auch Zoobesuche absolut inakzeptabel und wer aus Versehen mal eine Ameise zertritt oder nachts einer lästig surrenden Stechmücke den Garaus macht, ist ein Mörder.

Wo Urwälder gerodet werden, sterben immer auch Tiere!

Wo Urwälder gerodet werden, sterben immer auch Tiere!

Vegane Produkte sind nicht zwangsläufig tierleidfrei

Vielen Veganern scheint nicht klar zu sein, dass es in unserer Gesellschaft überhaupt nicht möglich ist, tierleidfrei zu leben und dass mit vielen veganen Produkten, die sie bedenkenlos konsumieren, sogar mehr Tierleid verbunden ist, als wenn sie ab und zu – aus welchen Gründen auch immer – vegetarische Ausnahmen machen würden oder gute, bewusste Tierhaltung von Privaten oder Zoos tolerieren.

Als Beispiel möchte ich hier mal das Palmöl nennen. In sehr vielen veganen Produkten wie Keksen, Fertigsaucen usw. ist Palmöl drin. Doch gerade für Palmölplantagen werden weltweit riesige Flächen Urwald gerodet und somit der Lebensraum von Abertausenden Tieren zerstört. Ganze Arten werden ausgerottet. Gleich verhält es sich mit Papier- und Holzprodukten. Diese werden von den meisten Veganern bedenkenlos konsumiert, die Problematik dahinter ist aber die gleiche wie beim Palmöl.

Unterm Strich verursacht ein Veganer, der viele Palmölprodukte und allgemein unökologisch produzierte Lebensmittel und Alltagsprodukte konsumiert, unter Umständen also mehr Tierleid und Umweltschäden, als jemand der ökologisch bedenkliche Produkte konsequent meidet, auf Bioprodukte setzt, aber alle zwei Wochen einmal bewusst ein wenig Fleisch isst.

Mehr Toleranz bitte!

Darum plädiere ich vehement für mehr Toleranz in der ganzen Gesellschaft. Genauso wie Allesesser endlich damit aufhören sollen, Veganer mit blöden Witzen zu nerven oder mit Fragen wie: «Was darfst du denn überhaupt noch essen?» zu ärgern, so sollten Veganer in ihren Kreisen, auch Vegetarierer oder Flexitarier tolerieren und sich bewusst werden, dass jedes Essen zählt. Genauso wie jede gute Tat im Bereich Tier- und Umweltschutz sowie in sozialen Bereichen zählt. Denn viele Veganer nutzen auch ohne Bedenken Computer, Smartphones usw. obwohl die Produktion dieser Geräte immer wieder mit Kinderarbeit und Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang gebracht wird. Mir stellt sich da die Frage, was wohl schlimmer ist: Kinderarbeit zu tolerieren oder Honigprodukte zu verwenden? Menschenrechtsverletzungen in Kauf zu nehmen oder ab und zu ein Ei zu essen?

Was ich damit sagen möchte:
NIEMAND in unserer modernen westlichen Welt hat eine schneeweisse Weste!

 

10 Kommentare

  1. judith

    danke liebe barbara, du sprichst mir aus der seele! würde dich gerne mal persönlich kennenlernen wenn ich mal wieder in die schweiz komme! du bist bei mir herzlich willkommen hier in cumbaya/quito/ecuador in meinem lehmhaus und paradiesgarten mit avocadobaum! da würdest du perfekt hinpassen!

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    1. Barbara Würmli (Beitrag Autor)

      Liebe Judith
      Da muss ich mir ja direkt überlegen, mal nach Ecuador zu reisen… Ist ein Land, über das ich gar nichts weiss…

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  2. Oliver

    Danke, der Artikel hat mir sehr geholfen, meine Denkweise zu „überdenken“ und mich auf dem weiteren Weg zu bestärken.

    Danke und Gruss
    Oliver

    Antworten
    1. Barbara Würmli (Beitrag Autor)

      Hallo Oliver
      Freut mich, dass dir der Artikel gefallen hat. Wenn du Fragen hast oder mehr Infos möchtest, melde dich. Unter der Rubrik Kontakt findest du die Koordinaten.
      Liebe Grüsse
      Barbara

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  3. Dory

    Deinen Beitrag finde ich wunderbar!Ich habe mich schon als Teenager dazu entschlossen, keine Produkte vom toten Tier zu essen und versuche seit ca 2 Jahren auf vegan umzustellen. Allerdings esse ich, wenn ich zum Essen eingeladen werde, auch vegetarisch, um meine Gastgeber/in nicht zu strapazieren. Ab und an esse ich auch Honig und Kuchen, die mit Eiern gebacken wurden. Ich finde es auch schon toll, wenn Menschen, die bisher immer Fleisch konsumiert haben, mir erzählen, sie würden darauf verzichten,aber auf Milchprodukte nicht verzichten möchten. Für mich sind auch diese Schritte schon sehr bedeutungsvoll und ich freue mich jedes mal!!

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    1. Barbara Würmli (Beitrag Autor)

      Ich bin da ähnlich wie du. Ich nenne mich bewusst «99% Ernährungsveganerin». Denn ich esse Bienenprodukte und zwar esse ich auch auswärts im Prinzip vegan, aber wenn in einem Restaurant mal Butter an den Kartoffeln ist oder in einer fremden Bäckerei kein Brötchen ohne Milchpulver oder so zu bekommen ist, dann geht die Welt für mich nicht unter. Denn diesen Kleinstteil an tierischen Produkten finde ich nicht schlimm. Ich kaufe auch nicht nur vegane Kleider oder Kosmetika, weil diese Dinge in CH einfach extrem teuer sind.

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  4. Thomas

    Sehr guter Artikel! ich hoffe den lesen viele Leute.

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    1. Barbara Würmli (Beitrag Autor)

      Danke, Thomas! Mach ein bisschen Werbung dafür, dann lesen ihn auch viele! 😉

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  5. Petra

    Sie sprechen mir aus der Seele!
    Aus diesem Grund habe ich einige Foren und Gruppen verlassen!

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    1. Barbara Würmli (Beitrag Autor)

      Auch ich habe schon Gruppen verlassen. Denn Vernetzung bringt nichts, wenn sie einen Energie kostet und runterzieht, statt Freude zu machen.

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